SdV Interview mit Arne Schimmer

Sache des Volkes (SdV): Die Lage der NPD ist derzeit sicherlich nicht allzu gut! In Sachsen ist man knapp an der Fünf- Prozent-Hürde gescheitert, in Thüringen und Brandenburg wurde ebenfalls an Stimmen verloren und die 0,3 Prozent in Hamburg müssen sicherlich als fundamentale Wahlschlappe gewertet werden. Zudem sorgen auf der “Straße” derzeit vor allem die diversen PEGIDAs für Aufsehen. Sicherlich setzt auch die rechtsliberale AfD deiner Partei zu. Handelt es sich aus deiner Sicht um einen dauerhaften Negativtrend, und worin sind die inhaltlichen Ursachen für diese Wahlschlappen zu sehen?

Arne Schimmer: Die NPD hatte zweifellos in letzter Zeit eine Serie an schwachen Wahlergebnissen zu verkraften, aber ein dauerhafter Negativtrend muß daraus nicht werden. Das untergründige Hauptthema, das die deutsche Politik derzeit beherrscht, ist die Frage der Westbindung – diese Frage stellt sich stärker denn je angesichts amerikanischem Drohnenimperialismus, Wirtschaftssanktionen gegen Rußland, Totalausspähung durch die NSA und dem westlichen Stellvertreterkrieg in Syrien, der für steigende Flüchtlingszahlen in Deutschland sorgt. Die Bundesrepublik ist eine Gründung der alliierten Westmächte, aber das westliche Legitimitätsreservoir, das sich noch auf Care-Pakete und Rosinenbomber gründet, beginnt spürbar zu bröckeln – bei den Pegida-Demonstrationen sieht man neben Schwarz-Rot-Gold keine Fahne so häufig wie die russische.

Hier gibt es noch eine große politische Marktlücke im deutschen Parteiensystem – da stimme ich der Analyse meines Freundes Jürgen Schwab zu, die unlängst auf dieser Seite veröffentlicht wurde. Unlängst stellte sogar der ehemalige Chefvolkswirt der Deutschen Bank Thomas Mayer in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ fest, daß das Ende unserer Papierwährung noch genau eine große Finanzkrise entfernt ist. Dann wird es die „Europäische Währunsunion“ in ihre Stücke zerreißen. Die Herrschaft des Westens ist im Niedergang begriffen, der Atlantizismus in Form einer technizistischen und auf Konsum beruhenden Massendemokratie hängt am Tropf der permanenten virtuellen Gelderzeugung durch die Europäische Zentralbank und die FED. Die Zukunft liegt im Osten – in der Zusammenarbeit mit den BRICS-Staaten, in denen noch produziert und nicht nur Geld gedruckt wird, und möglicherweise in einer goldgedeckten Währung, die von der neuen Weltmacht China vorbereitet wird. Die AfD, die sich mit Hans-Olaf Henkel einen stellvertretenden Parteisprecher leistet, den man fast schon als körperliche Personifizierung des Atlantizismus bezeichnen könnte, gibt jetzt, wo die Euphorie nach der ersten Parteigründungsphase nachläßt, eine gute politische Zielscheibe ab, und gibt sich im Europaparlament sogar dazu her, für die EU-Sanktionen gegen Rußland zu stimmen.

Die NPD könnte also eine Wiederauferstehung als antiatlantizistische nationale Kraft feiern, wenn sie die sich bietenden Chancen konsequent ergreift. Daß man dabei auch auf konstruktive Kritik aus dem Umfeld eingeht, wie sie von der „Sache des Volkes“ formuliert wird, sollte selbstverständlich sein.

SdV: Wie ist der Kurs der NPD unter dem neuen Bundesvorsitzenden Frank Franz zu sehen? Aus unserer Sicht tendiert dieser Kurs eher in Richtung Rechtspopulismus und Sozialstaatskritik.

Arne Schimmer: Nein, das sehe ich überhaupt nicht so. Der wirtschaftspolitische Leitgedanke der NPD ist die Schaffung einer raumorientierten Volkswirtschaft, also der Aufkündigung der Integration der Volkswirtschaften in immer größere supranationale Freihandelszonen wie die EU, CETA oder TTIP, und der damit verbundenen Marktgleichschaltung. Nur so kann man den Sozialstaat schützen, da große Freihandelszonen zwangsläufig dazu führen, daß sich Löhne und Sozialstandards auf unterstem Niveau einpendeln.

Außenpolitisch fordert die NPD den Austritt Deutschlands aus der NATO – welche Forderung könnte heute revolutionärer sein und würde die geopolitische Weltlage so stark verändern wie ein Austritt des wirtschaftlich stärksten europäischen Landes aus dem westlichen Militärbündnis und die Neuaufstellung Deutschlands als westöstliches Land der Mitte? Schon diese Forderung zeigt ja, daß die NPD meilenweit von rein rechtspopulistischen Positionen entfernt ist. Ansonsten genügt ein Blick auf das Abstimmungsverhalten Udo Voigts im Europäischen Parlament – beispielsweise in der Frage der EU-Sanktionen gegen Rußland oder der Frage der Anerkennung der palästinensischen Staatlichkeit – um zu erkennen, daß die NPD in vielen Grundsatzfragen eine komplett andere Auffassung vertritt als die gemeinhin als rechtspopulistisch bezeichneten Parteien im Europaparlament.

SdV: An sich könnte man es so interpretieren, daß die NPD dem Wirtschafts- und Sozialprogramm nach völkisch-sozialdemokratisch ausgerichtet ist, also für eine nationale soziale-Marktwirtschaft und eine Konzeption steht die auf Keynes zurückgeht. Man ist also im Grunde für ein kreditfinanziertes Konjunkturprogramm, Mindestlöhne und gegen einen weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors. Aber ist es nicht so das ein solches Konzept auf der gegenwärtigen Stufenleiter des Kapitalismus kaum umzusetzen ist weil der Kapitalismus transnational agiert. Oder wie bewertest du die Lage bezüglich einer Rückkehr zu Keynes und Karl Schiller?

Arne Schimmer: Um beim Bild der Stufenleiter zu bleiben: Der Kapitalismus hat heute einen neuen kosmopolitischen Verdichtungsgrad mit langen transnationalen Wertschöpfungsketten erreicht, der Neomarxist Robert Kurz hat das gut in seinen Büchern analysiert. Man kann nun zu dem Schluß kommen, daß die Sozialisierung der Privatwirtschaft die richtige Antwort auf diese Herausforderung ist. Ich halte diesen Weg aber für falsch. Natürlich: Auch in einer totalverstaatlichten Wirtschaft wird es den einen oder anderen guten Manager geben, der dann die verstaatlichten Betriebe leitet – das gab es in der DDR auch. Was es in einem solchen Wirtschaftssystem aber nicht oder nur in einem viel zu geringem Umfang gibt, das sind Unternehmer als Spezialisten für Entscheidungen unter Unsicherheit, Spezialisten in der Beurteilung von wirtschaftlichen Ablaufprozessen und von betrieblichen Konzeptionen und Ideen. Diese Leerstelle hat meiner Auffassung nach zum Untergang des gesamten institutionalisierten Staatsmarxismus geführt, denn die Entscheidungsorientierung und Kreativität solcher Personen wird benötigt, wenn eine Wirtschaftsordnung sich weiterentwickeln können soll.

Meines Erachtens kann man viel lernen, wenn man auf Chinas oder Vietnams „sozialistische Marktwirtschaft“ blickt, die im chinesischen Fall auf der traditionellen Kultur des Konfuzianismus beruht. Der Staatsanteil der chinesischen Wirtschaft ist nach wie vor hoch, dennoch gibt es viele erfolgreiche Unternehmer, die auf internationalen Märkten agieren, aber eben gerade nicht als Klasse die Gesellschaft überwölben, da das Gemeineigentum in der chinesischen Wirtschaftsordnung weiterhin eine große Rolle spielt. Oder schau doch nach Ungarn, wo die Regierung von Viktor Orbán Sondersteuern für ausländische Unternehmen erläßt und gleichzeitig enge Wirtschaftsbeziehungen zu Rußland aufbaut. Die Wirtschaftsordnung des 21. Jahrhunderts wird eine durch Wirtschaftskulturen geprägte sein, die den unipolaren angelsächsischen Finanzmarktkapitalismus überwinden und neue Mischformen von Gemein- und Privateigentum finden wird. Deutschland mit seiner eigenen hochentwickelten und sehr spezifischen Wirtschaftskultur wird diese multipolare Wirtschaftsordnung an der Seite der BRICS-Staaten mitprägen, und diese Wirtschaftsordnung wird eine sein, in der der Primat der Güterproduktion den Dollarimperialismus abgelöst haben wird.

SdV: In der Eurokrise berufen sich manche nationale Rechte auf den Ordoliberalen Hans-Werner Sinn. Wie passt das aber inhaltlich zu den wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen der NPD?

Arne Schimmer:Das muß ja gar nicht passen, denn wenn die NPD manche Aussagen Sinns zur Euro-Krise teilt, heißt das ja noch nicht, daß sie gleich sein gesamtes wirtschafts- und sozialpolitisches Programm übernimmt. Hans-Werner Sinn hat sich vor drei Jahren in Buchform äußerst kompetent zum Problem der über das Verrechnungssystem der Europäischen Zentralbank aufgebauten Target-Salden geäußert, wo ja bekanntermaßen die Deutsche Bundesbank zum Hauptgläubiger wider Willen gemacht wurde, und im Falle eines Ausfalls der bei der Europäischen Zentralbank hinterlegten Staatsanleihen in Mithaftung gezogen würde – und mit ihr automatisch der deutsche Bürger, da sich die Bundesbank im Eigentum der Bundesrepublik befindet. Ich finde es hervorragend, daß Hans-Werner Sinn mit seiner Arbeit dieses Thema überhaupt erst ins öffentliche Bewußtsein gebracht hat, denn das berührt doch das Thema der nationalen Demokratie im innersten Kern, wenn ganz ohne Regierungs- und Parlamentsbeschluß nur über die EZB-internen Ablaufprozesse auf den deutschen Bürger fast unbemerkt Haftungsrisiken in dreistelliger Milliardenhöhe umgewälzt werden.

Es ist doch so: Hans-Werner Sinn hat doch mit Blick auf die Euro-Krise den gleichen Ausgangspunkt wie Gregor Gysi oder Yanis Varoufakis: Alle drei teilen die Einsicht, daß Griechenland sich aus seinem riesigen Schuldenberg gar nicht mehr heraussparen kann. Im Unterschied zu Gysi und Varoufakis hat Sinn aber eine Vorstellung davon, wie man die Misere beenden kann, nämlich mit einem Ausstieg Griechenlands aus dem Euro-Raum. Dann könnte Varoufakis eine Art von griechischer „Abenomics“ betreiben, die neue Drachme stark zu allen anderen Währungen abwerten lassen, mit einer solchen realen Abwertung die relativen Preise griechischer Produkte stark senken, und bald würden sich die griechischen Touristikzentren vor Besuchern gar nicht mehr retten können. Innerhalb der Euro-Zone hat Griechenland nur eine Zukunft als dauerhafter Subventionsempfänger und als deindustrialisiertes Mezzogiorno vor sich, das jedes Jahr den am besten ausgebildeten Teil seiner Jugend ans Ausland verliert. Ein „Weiter so“ ist zynisch, nicht die Schaffung der Möglichkeit einer eigenständigen griechischen Wirtschaftspolitik durch die Wiedereinführung der Drachme.

SdV: Du hattest ja einst in der Profil-Schriftreihe der NPD Karl Marx sachlich behandelt. Worin siehst du den Anknüpfungspunkt deutscher Nationalisten zur Kapitalanalyse von Karl Marx? Wie könnte eine nationale Kapitalismuskritik aussehen?

Arne Schimmer: Panajotis Kondylis, der wohl illusionsloseste aller Dezisionisten, kam zu der Feststellung, daß „kein Moderner“…so tief und anschaulich wie Marx vorgeführt (hat), daß Geschichte, Ökonomie, Politik, Philosophie und Anthropologie im Grunde genommen eine einzige Sache und einzige Disziplin sind“ und sah in ihm deshalb einen „der großen Begründer moderner Sozialwissenschaft“. Das ist wahr. Marx war ein Beobachter des frühen Prozesses der Industrialisierung, er sah, wie der Mensch erst so frei ist, sich durch eine Vielzahl von Erfindungen die Natur und die Dinge zu unterwerfen, bloß um dann in der industriellen Warenwelt zu landen, wo die Dinge ihn dann wieder sich unterwerfen und er unfrei wird, ganz wie in Goethes Gedicht vom Zauberlehrling. Das ist schon große Philosophie. Aber das Werk von Marx hat auch Schwächen, und ich teile die Auffassung des Brecht-Schülers und früheren Marxisten Hans-Dietrich Sander, der das Werk von Marx aufteilt in eine Realstruktur, wo Marx den Prozeß der Industrialisierung richtig erfaßt und analysiert und auch als Historiker viele richtige Aussagen beispielsweise über die griechische Antike und den Bonapartismus trifft, und in eine Tribunalstruktur, innerhalb derer Marx und Engels als Ankläger die Geschichte vor ihr Tribunal zerren. Sie verabsolutieren die Situation des voll ausgeprägten Klassenkampfes, die sie in der Mitte des 19 Jahrhunderts in England und Deutschland beobachten konnten, und machen daraus ein deterministisches Geschichtsgesetz. Sie verzeichnen den Unternehmer zur Figur des Bösen, zum „Expropriateur“, und konnten sich dabei wohl nicht ausmalen, welche katastrophalen Wirkungen das Herausdrängen dieser wichtigen sozialen Figur aus der Gesellschaft nach sich ziehen würde, wie es später ja in den kommunistischen Systemen geschah.

Und deswegen hat es übrigens dann ja auch nur zu leeren Regalen und Plattenbauten hinter Stacheldraht gereicht. Der Kommunismus war mit dem Versprechen angetreten, die Produktivkräfte noch viel besser und effizienter entfesseln zu können als der Liberalismus, aber paradoxerweise hat er dort, wo er zur Macht gelangte, die ökonomische Entwicklung angehalten und ökonomische Biotope geschaffen, die der ökonomischen Entwicklung der nicht-kommunistischen Staaten bald um Jahrzehnte hinterher waren – und das alles nur, weil der institutionalisierte Staatsmarxismus sich nicht von seiner Lieblingsvorstellung lösen konnte, daß Menschen in gute und in böse Klassen geboren werden. Und so hat man denn in der DDR mit der Vernichtung des Unternehmertums in den drei Wellen 1952/53, 1958 bis 1960 und 1970 bis 1972 weniger eine gefährliche „Kapitalistenklasse“ als vielmehr die eigene Zukunftsfähigkeit vernichtet. Es hätte auch innerhalb einer sozialistischen Wirtschaftsordnung völlig anders laufen können, das zeigen die Jahre des „Neuen Ökonomischen Systems“ von 1963 bis 1970, als man den Gewinn als Größe betrieblicher Produktionsplanung zuließ und damit die erfolgreichste Ära der DDR-Wirtschaft einläutete.

Der nächste Kritikpunkt wäre der deterministische Materialismus, den Marx ja mehr oder weniger komplett von Ludwig Feuerbach übernommen hat. Mit dieser Verknüpfung von Metaphysik und Naturwissenschaften hat er ein Eigentor geschossen, ähnlich wie Nietzsche mit seiner „Ewigen Wiederkunft“, der damit auch am Materialismus des 19. Jahrhunderts klebenblieb. Dieser Pfeiler brach dann spätestens 1927 mit der „Kopenhagener Deutung“ zusammen, mit der die Quantenphysiker Niels Bohr und Werner Heisenberg die klassische Physik begruben und feststellten, daß das „Teilchen an sich“ Welle und Teilchen zugleich ist und sein Verhalten prinzipiell unvorhersagbar ist. Bedeutet: Die Materie selbst ist indeterministisch und durchgeistigt, und der an das Wunder glaubende Katholik ist näher an der Wirklichkeit dran als der brave atheistische Materialist des 19. Jahrhunderts.

Was ich mit all dem sagen will, ist bloß,daß natürlich auch die Philosophie von Marx und Engels keine zeitlose Offenbarung des absoluten Wissens ist. Wer sich dem Marxschen Werk aber nicht nur als orthodoxer Nachbeter, sondern als eigenständiger Kopf nährt, der kann sehr viel aus ihm ziehen, und zwar nicht nur aus dem Historiker Marx, sondern auch aus dem harten Theoretiker des Kapitals. So lange es in Deutschland an der Tagesordnung ist, daß florierende Mittelständler von angelsächsischen Hedgefonds übernommen und dann zum Zweck der Cash-Flow-Maximierung regelrecht ausgeweidet werden, ist Marxens Forderung nach „Arbeit in einer Form, worin sie dem Menschen ausschließlich angehört“ hochaktuell.

Und die Vorstellung, daß nur der liberale Nachtwächterstaat eine effiziente und wettbewerbsfähige Ordnung des Wirtschaftens garantiert, ist natürlich auch nichts weiter als ein von interessierter Seite gepflegter Mythos, während in der ökonomischen Realität die Staatsökonomien Chinas und Vietnams den Westen gerade in Sachen Produktivität und Innovationsfähigkeit in die Tasche stecken.

SdV: In Griechenland kam es nun zu einer links-rechts Koalition (“Querfront”). Was ist von der neuen griechischen Regierung zu erwarten und worin siehst du auch die innenpolitischen Auswirkungen in der Bundesrepublik?

Arne Schimmer: Ich erwarte von der neuen griechischen Regierung, daß sie im Punkt der Wiederherstellung der nationalen Souveränität als europäischer Vorreiter den anderen Völkern des Kontinents vorangeht und damit eine historische Mission erfüllt. Dazu muß sie sich aber wohl zuerst klar machen, was sie denn nun eigentlich selber will: Die Deutschen mit Drohungen vor Flüchtlingswellen und IS-Terroristen oder moralischen Erpressungen mithilfe der altbekannten Nazi-Keule in der Rolle des Zahlesels zu halten, oder wirklich eine neue politische Ordnung zu schaffen. Wenn sie letzteres anstrebt, dann ergeben sich daraus weitreichende Konsequenzen, und die erste davon wäre der Austritt aus der Euro-Zone – dann könnte sie die Herrschaft raumfremder Institutionen wie des IWF, der Europäischen Zentralbank und der EU-Kommission über Griechenland beenden und die Beamten aus Washington, Frankfurt und Brüssel endlich nach Hause schicken.

Aus kulturkreisnationalistischer Sicht sollte Griechenland außerdem die EU und die NATO verlassen und sich Putins „Eurasischer Wirtschaftsunion“ anschließen. Das würde auf allen Ebenen positiv wirken: Rußland wurde seine Einflußsphäre wieder ein Stück weit nach Europa hinein verlagern und seine traditionelle Rolle als Vormacht des orthodoxen Europas einnehmen, was sich in der gegenwärtigen Konfrontationssituation friedenssichernd auswirken würde. Griechenland würde endlich die Westbindung loswerden, die nie zu dem Land gepaßt hat – die Westbindung Griechenlands war nichts weiter als ein historischer Unfall, der noch von der Konferenz von Jalta her herrührt, als Churchill und Stalin vereinbarten, Griechenland im Verhältnis 90 Prozent zu 10 Prozent der westlichen Einflußsphäre zuzuschlagen, was die griechischen Kommunisten zurecht als Verrat betrachteten.

Das Dilemma wäre also von der griechischen Regierung aufzulösen, sie darf bloß nicht weiter am Euro klammern.DerSyriza-Wirtschaftsberater Costas Lapavitsas hat unlängst gemeinsam mit Heiner Flaßbeck in einem Buch dargelegt, daß Griechenland schnellstmöglich aus der Euro-Zone austreten sollte, und dies ausdrücklich als „progressive Option“ zum Schutz der nationalen Souveränität bezeichnet. Hervorragend, jetzt hat auch die Athener Querfront-Regierung ihren „Grexit“-Flügel! An dieser Stelle sollte man weitermachen, Deutsche und Griechen sollten sich nicht aufeinanderhetzen lassen, sondern Griechenland und andere südeuropäische Länder sollten als Rammbock gegen den westlichen Finanzkapitalismus dienen, der mit der Gelddruckerei von EZB und FED schon längst esoterisch geworden ist.

Es wäre wünschenswert, wenn die Auswirkungen der griechischen Querfront-Regierung auf die deutsche Innenpolitik darin bestehen würden, daß man auch hierzulande die politische Logik der Zange verinnerlicht, und rechte und linke Systemkritiker ein Stück weit zusammenfinden. Das ist in Deutschland zwar schwieriger als anderswo, ich meine aber, daß die Fronten sich nicht mehr gar so verhärtet gegenüberstehen wie noch vor zehn Jahren, was auch der Arbeit von politischen Eisbrechern wie Jürgen Elsässer zu verdanken ist. Es gibt keine rechten und linken politischen Probleme, sondern nur politische Probleme.

Eine Gefahr sehe ich aber auch: Wenn sich der Tsipras/Varoufakis-Kurs der moralischen Erpressung gegenüber Deutschland durchsetzt, dann könnte hier eine neue Form der Klassenherrschaft durchsetzen, die dann nicht mehr durch materielle, sondern metaphysische Eigentumstitel gekennzeichnet ist und in der deutsche Steuerzahler als die „ewig Bösen“ das neue Ausbeutungsobjekt wären. Diese neue Klassenherrschaft hätte eine explizit rassistische Ausrichtung, denn sie richtet sich offensichtlich exklusiv nur gegen Deutsche, nicht aber gegen Italiener, die ja immerhin den Feldzug gegen Griechenland im Jahr 1941 begonnen haben.

SdV: Seit Monaten bewegt das Thema Ukraine bzw. Russland nicht nur die Öffentlichkeit sondern auch zahlreiche deutsche Nationalisten. Die NPD schwankt ja eher zwischen den Polen hin und her. Zum einem ist man relativ Putin-freundlich, zum anderem aber hält man ja die Kontakte zu den rechten ukrainischen Putsch-Parteien aufrecht, die mit dem US-Imperialismus kooperieren. Hat man hier nicht auch eine NATO-Leiche im Keller liegen (siehe: hier und hier)? Wie ist aus deiner Sicht dieser Spagat zu erklären?

Arne Schimmer: Das ist eine sehr wichtige Frage. Ich meine, es kann keinen Spagat in der Frage der Westbindung geben. Europa bleibt entweder unter amerikanischem Einfluß, und das bedeutet, daß die europäische Idee auf die Schaffung einer großen Freihandelszone reduziert wird und Europa irgendwann nicht nur politisch, sondern auch kulturell von der Weltkarte verschwunden sein wird, oder Europa zieht die eurasische Option und sieht sich an der Seite der aufstrebenden Mächte des Ostens, an der Seite von Indien, China und Rußland. Die NPD hat sich eindeutig festgelegt, die NPD ist für Eurasien und für den Austritt aus der NATO, und damit wäre auch die politische Bündnisfrage beantwortet.

Meiner Auffassung nach sollte aber auch der überzeugteste Eurasier auf der Kontaktebene für Gespräche mit ukrainischen Nationalisten offen sein. Man könnte sagen: Die brauchen uns mehr als je zuvor, damit wir sie vor dem Westen warnen können. Das Gespräch, das Du erwähnst, fand im Mai 2013 statt, also noch in der Ära Janukowytsch. Wir haben damals unseren Gesprächspartnern ganz klar gesagt, daß ein EU-Beitritt wegen der damit verbundenen Marktgleichschaltung für die Ukraine katastrophal wäre und das Land einen solchen Schritt mit seiner kompletten Deindustrialisierung bezahlen würde. In dem Gespräch haben wir aber auch einiges über die Geschichte der Ukraine im 20. Jahrhundert erfahren, und es stünde meines Erachtens auch manchem Eurasier gut an, sich mit diesem Komplex zu beschäftigen, um wenigstens ein wenig Empathie und Verständnis zu entwickeln. Also jetzt mal ehrlich, was erwarten wir denn von den Ukrainern? Sollen sie sich vielleicht noch bei Stalin dafür bedanken, daß er den versuchten Völkermord durch Aushungern und Gulag-Deportationen nicht ganz ausgeführt hat? Sollen sie sich weiter als „Nazis“ und „Faschisten“ beschimpfen lassen, bloß weil aus nachvollziehbaren Gründen ein Stepan Bandera, der als tragischer Held zwischen die Blutmühlen des Weltbürgerkriegs des 20. Jahrhunderts geriet, weiterhin eine Identifikationsfigur für sie ist? Wir sollten hier sehr aufpassen und uns vor der Gefahr der Selbstgerechtigkeit hüten. Eurasien schaffen wir nur, indem wir die kleineren ostmitteleuropäischen Völker auf dem Weg dorthin mitnehmen, nicht, indem wir sie beschimpfen.

Einen ukrainischen Nationalisten überzeuge ich doch eher von den Vorzügen der Ostorientierung als einen Chodorkowskiliberalen, und gerade den ukrainischen Nationalisten wird irgendwann auffallen, daß sie statt von Oligarchen nun von Oligarchen mit Kreditlinien beim IWF regiert werden. Ich bin gegen Kontaktverbote; Kontaktverbote sind albern und gehören ins mentale Blockwartarsenal.

SdV: Eine letzte Frage! Wie sieht es publizistisch mit dem nationalen Theorieorgan hier & jetzt aus? Worauf dürfen sich die interessierten Leser zukünftig einstellen?

Wir werden das Projekt weiterführen – erzwungenermaßen unter neuem Namen, da wir einen Namensrechtsstreit verloren haben. Auch die gesamte Buchhaltung und der Vertrieb müssen genauso wie eine neue Netzpräsenz erst geschaffen werden. In den nächsten Monaten wird dann aber das neue Heft erscheinen. Ich kann allen Lesern versprechen, daß wir konzeptionell und ästhetisch an die alte „hier & jetzt“ anschließen werden, und daß unser Organ weiterhin Raum für tabulose politische Kontroversen bieten und dem „wilden Denken“ jenseits der großen Ideologieproduktionsstätten unserer Gegenwart Raum verschaffen wird. Das „Lager“ als Raum der politischen Selbstverortung war gestern, wir basteln an der Querfront, und wir hoffen, daß wir auch einige Leser aus den Reihen der „Sache des Volkes“ für unser Projekt werden begeistern können.

SdV: Wir bedanken uns auch schon einmal im Namen unserer Leser für dieses sehr interessante Gespräch.

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